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Aussage gegen Aussage

Veröffentlicht am

Aktualisiert: 16.01.2024

Aussage gegen Aussage (Symbolbild): Wassertropfen verursacht kleine runde Wellen

Eine „Aussage gegen Aussage“-Konstellation betrifft im Strafrecht häufig Tatvorwürfe, die das persönliche Umfeld des (vermeintlichen) Täters betreffen. Meistens handelt es sich bei den Vorwürfen um Körperverletzungen oder Sexualstraftaten im Familien- oder Freundeskreis des Beschuldigten.

Allerdings ist es nicht so, dass bei einer “Aussage gegen Aussage” Konstellation grundsätzlich eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder ein Freispruch das Ergebnis ist. Vielmehr muss das Gericht in diesen Fällen bei der Beweiswürdigung besondere Anforderungen berücksichtigen.

Dazu gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung des BGH

Denn in einem derartigen Fall, in dem eine Verurteilung allein auf der Belastungsaussage eines einzigen Zeugen beruht, müssen die Angaben dieses Zeugen erhöhten Anforderungen an die Glaubwürdigkeit genügen.

Beweiswürdigung: Grundsatz bei “Aussage gegen Aussage”

Im Beschluss vom 12.11.98, 4 StR 511/98, hat der BGH zu einem wichtigen Grundsatz der Beweiswürdigung bei dieser Konstellation Stellung genommen:

In einem solchen Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (…) und auch in einer „Gesamtschau“ gewürdigt hat (…).

BGH, 4 StR 511/98

Das Verfahren betraf ein Sexualdelikt. Der BGH bezog sich insbesondere auf zwei Aspekte:

  • Die Hauptbelastungszeugin hat zu einem Detail des Kerngeschehens in der Hauptverhandlung abweichend zu ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt.

Der BGH kommt bei diesem Punkt zu dem Ergebnis,

daß eine solche Änderung im das Kerngeschehen betreffenden Aussageverhalten ein gewichtiges Indiz ist, welches Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage insgesamt begründen kann.

BGH, 4 StR 511/98
  • Die Angaben der Zeugin zum Betreten der Wohnung des Angeklagten waren nicht nachvollziehbar.

Das Landgericht hatte sich mit diesem Detail nicht ausreichend auseinandergesetzt, was der BGH ebenfalls bemängelte.

Auch im Beschluss vom 30.08.12 (5 StR 394/12) und im Urteil vom 06.04.16 (BGH 2 StR 408/15) hat der BGH die Verletzung des o.a. Grundsatzes durch die jeweiligen Landgerichte gerügt.

Analyse und Prüfung der belastenden Aussage

Unter anderem im Beschluss vom 19.05.2020, 2 StR 7/20, hat der BGH den obigen Grundsatz weiter konkretisiert und seine Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst:

„Erforderlich sind vor allem eine

  • sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben,
  • möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 4 StR 98/05, NStZ-RR 2005, 232, 233),
  • Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 – 4 StR 73/03, Rn. 8), sowie
  • Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11, Rn. 9; Urteil vom 7. Februar 2018 – 2 StR 447/17, Rn. 8).“

Zu einem identischen Ergebnis kommt der BGH auch im Urteil vom 17.02.21 (BGH 2 StR 222/20).

War die belastende Aussage konstant?

Von erheblicher Bedeutung bei der Beweiswürdigung ist die Konstanz der Belastungsaussage. Dazu hatte der BGH bereits in der obigen Entscheidung (4 StR 511/98) Stellung genommen. Im Beschluss vom 13.06.2017, 2 StR 94/16, führt der BGH ergänzend aus:

„Dabei ist insbesondere der Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage besondere Bedeutung beizumessen. In einer solchen Konstellation hat der Tatrichter zudem in einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darzustellen und in seine Überlegungen einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 – 2 StR 94/14, NStZ 2014, 667; Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368; Beschluss vom 4. April 2017 – 2 StR 409/16).“

BGH, 2 StR 94/16

Auch im Beschluss vom 05.04.16 (1 StR 53/16) befasst sich der BGH mit der (im dortigen Fall nicht vorhandenen) Konstanz der Belastungsaussage:

„Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen, wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172).“

BGH, 1 StR 53/16

Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen

Im Beschluss des BGH vom 27.09.01, 1 StR 349/01, geht es unter anderem um eine Beweiswürdigung des Landgerichts, die wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht:

„Die Beweiswürdigung des Landgerichts steht mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft in einem zentralen Punkt nicht in Einklang. Sie läßt einen Erfahrungssatz außer acht, der eine Wahrscheinlichkeitsaussage zuläßt (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 46, 48; siehe für andere Fallgestaltungen auch BGHR StPO § 261 Erfahrungssatz 2, 5). Deshalb erweist sich die Würdigung der Strafkammer zugleich als lückenhaft. (…)

Das Landgericht hat sich den Blick auf die bezeichneten medizinischen Erkenntnisse verstellt, indem es diesem Gesichtspunkt „keinerlei Beweiswert“ beigemessen hat. Da es zur Begründung für diese Sicht ausdrücklich auf den zeitlichen Abstand zwischen der Tat und dem tags darauf erfolgten Abstrich bei der Zeugin abgestellt hat, vermag der Senat auch nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß es sich bei der Formulierung der Kammer um ein bloßes Vergreifen im Ausdruck handeln könnte. Ebensowenig kann der Senat ausschließen, daß eine Beweiswürdigung, die diesen Umstand bewertet und -naheliegenderweise unter näherer Aufklärung der die Nachweissicherheit beeinflussenden sogenannten variablen Rahmenfaktoren und unter sachverständiger Beratung -in die Gesamtwürdigung aller Beweise miteinbezogen hätte, zu einem anderen, etwa Zweifel begründenden Ergebnis geführt hätte.“

BGH, 1 StR 349/01

In diesem Beschluss nimmt der BGH auch zu zwei weiteren Mängeln der Beweiswürdigung des Landgerichts Stellung. Ein Problem betrifft ebenfalls die Aussagekontinuität (siehe oben):

„Diese Bewertung hätte es im Blick auf die fehlenden Spuren erfordert zu erörtern, ob und gegebenenfalls wie die Zeugin sich zu dieser Frage etwa im Ermittlungsverfahren erklärt hatte, ob es hierzu etwa eine abweichende Aussage gab oder ob insoweit Aussagekontinuität anzunehmen gewesen wäre.“

BGH, 1 StR 349/01

Der zweite Mangel betraf die Fähigkeiten der Zeugin beim Versenden einer SMS. Der BGH verlangt Ausführungen zu den Voraussetzungen derartiger Fähigkeiten und eine Würdigung dieses Details:

„Es versteht sich indessen gleichwohl auch für einen im Umgang mit einem Mobiltelefon und dem Versenden von SMS-Nachrichten in hohem Maße geübten, fingerfertigen Nutzer nicht von selbst, daß ein solches „blindes“ Schreiben und Versenden einer Mitteilung über ein in einer Tasche befindliches „Handy“ möglich ist. Die entsprechende Feststellung hätte der Darlegung der Voraussetzungen bedurft, unter denen die Zeugin (…) dies konnte; die Aussage der Zeugin hierzu wäre zu würdigen gewesen.“

BGH, 1 StR 349/01

Fazit:

Die obigen Entscheidungen stellen nur einen sehr kleinen Teil der BGH-Rechtsprechung zu „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen dar. Bereits die Vielzahl der Beschlüsse und Urteile des BGH zu dieser wichtigen Frage zeigt, dass die Fehlerquote der erstinstanzlichen Gerichte bei der Würdigung einer „Aussage gegen Aussage“-Situation“ nicht gering ist.

Zwar betrafen die obigen Sachverhalte schwerwiegende Straftaten, die in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt wurden. Aber die hier dargestellten Prinzipien gelten selbstverständlichen auch für Verhandlungen, die in erster Instanz vor einem Amtsgericht stattfinden.

Bei „Aussage gegen Aussage“-Konstellationen gibt es ein erhebliches Verteidigungspotential.

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