Manchmal führen vermeintlich einfache und offensichtliche Sachverhalte zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen – z.B. zur Frage der wirksamen Zustellung eines Vollstreckungsbescheides.
Da der u.a Hinweisbeschluss des LG Göttingen ausführlich auf Probleme im Zusammenhang mit einer Zugangsvereitelung und der Zustellungsfiktion eingeht und in juristischer Hinsicht interessant ist, gehe ich näher auf das Verfahren ein:
Zugangsvereitelung + Zustellungsfiktion
Der Ausgangspunkt:
Meine Mandanten hatten im Januar 2012 eine größere Feier in einem Restaurant geplant, die im September 2012 stattfinden sollte. Der Wirt/Geschäftsführer verlangte für die Ausrichtung der geplanten Feier eine Anzahlung in Höhe von 4.500,– €. Dafür gewährte er meiner Mandantschaft einen Frühbucherrabatt.
Zur Absicherung evtl. Verbindlichkeiten gegenüber der Restaurant-GmbH übernahm der Geschäftsführer eine persönliche selbstschuldnerische Bürgschaft.
Leider mussten meine Mandanten ihre Pläne ändern. Daher sagten sie die Feier – Monate vor dem geplanten Termin – ab. Sie forderten zunächst selbst, später durch mich, die Vorauszahlung zurück. Die Gegenseite hüllte sich in Schweigen.
Das Strafverfahren
Meine Recherchen führten zu dem Ergebnis, dass die GmbH mittlerweile insolvent und möglicherweise bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses überschuldet war. Es gab einige weitere Ungereimtheiten. Unabhängig von der zivilrechtlichen Verfolgung der Forderung riet ich meiner Mandantschaft daher zur Erstattung einer Strafanzeige.
Monate später staunte ich nicht schlecht, als im Ergebnis des Antrages auf Einsichtnahme in die Strafakte ein riesiger Karton mit diversen Leitzordnern auf meinem Schreibtisch landete.
Der Inhalt war in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich – am meisten überraschte mich jedoch der Umstand, dass der Geschäftsführer der Restaurant-GmbH offenbar ein gespaltenes Verhältnis zur Zustellung behördlicher Schreiben hatte – eine Ignoranz, die nicht nur zu einem Versäumnisurteil, sondern u.a. auch zu diversen Haftbefehlen im Rahmen von Zwangsvollstreckungsverfahren führte. Die mit der Zustellungsproblematik verbundene Taktik des Geschäftsführers lernte ich später noch kennen
Insolvenzverschleppung konnte dem Geschäftsführer nicht nachgewiesen werden. Er wurde jedoch aufgrund der Anzeige meiner Mandanten wegen Betruges verurteilt.
Das Zivilverfahren
Die Forderung machten wir auf der Grundlage der persönlichen selbstschuldnerischen Bürgschaft des Geschäftsführers im Urkundsverfahren geltend. Auf den Mahn- und Vollstreckungsbescheid folgte ein vorläufiges Zahlungsverbot. Die Konten waren (zumindest vorläufig) dicht.
Das reichte jedoch, um den Geschäftsführer aus seinem offensichtlichen Tiefschlaf zu wecken. Er ließ durch seinen Rechtsanwalt vortragen, ihm sei weder der Mahn-, noch der Vollstreckungsbescheid zugegangen. Er habe deshalb die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid versäumt und beantrage daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Aufhebung des Vollstreckungsbescheides.
Ein langer Weg durch die Instanzen begann:
Zustellung Vollstreckungsbescheid – Die erste Runde
Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid wurde durch das AG Northeim (wegen Fristversäumnis) als unzulässig verworfen. Die Gegenseite legte Berufung ein.
Das LG Göttingen kam zu dem Ergebnis, dass die Frage der wirksamen Zustellung des Vollstreckungsbescheides durch das AG nicht ausreichend geprüft wurde und daher nicht feststeht, wann die Einspruchsfrist in Gang gesetzt wurde. Daher könne der Einspruch nicht als unzulässig verworfen werden. Auf Antrag beider Parteien wurde die Sache an das Amtsgericht zurück verwiesen.
Runde Zwei – Der kreative Geschäftsführer
Das nunmehr – erneut – mit der Sache befasste AG Northeim musste also zunächst die Frage der wirksamen Zustellung des Vollstreckungsbescheides klären.
Der Geschäftsführer hielt sich offenbar für clever: Die persönliche selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung enthielt nur die Geschäftsadresse der GmbH. Gleichzeitig hatte der Geschäftsführer seine Mitarbeiterin im Büro angewiesen, keine für ihn persönlich bestimmte Post entgegen zu nehmen.
Auch der Briefkasten des Restaurants hatte seine Eigenheiten: Der an der Tür des Gebäudes vorhandene Briefschlitz war nicht beschriftet und nach innen offen. Auf die Frage, ob man mit einem derartigen Briefkasten einen Restaurant- und Hotelbetrieb wirtschaftlich erfolgreich führen kann, will ich an dieser Stelle nicht eingehen – die Antwort hatte sich schon aus dem Strafverfahren ergeben ….
Der Postzusteller hatte zunächst versucht, den Vollstreckungsbescheid persönlich zuzustellen. Jedoch verweigerte die Mitarbeiterin des Geschäftsführers anweisungsgemäß die Annahme. Der Zusteller hatte den Bescheid daraufhin in den unbeschrifteten Briefschlitz geworfen und die Zustellung auf der Zustellungsurkunde vermerkt.
Die Gegenseite argumentiert u.a. damit, dass der Vollstreckungsbescheid durch den Einwurf in den unbeschrifteten und offenen Briefkasten nicht wirksam zugestellt wurde, da zu diesem Bereich auch Gäste Zutritt hatten. Im Übrigen sei der Zusteller darauf hingewiesen worden, keinerlei Post in diesen Briefschlitz zu werfen. Eine wirksame Zustellung hätte nur an seine Privatadresse erfolgen können.
Meines Erachtens lag eine Zugangsvereitelung vor, da der Geschäftsführer die Bürgschaftserklärung – unter Angabe der Geschäftsadresse – als Privatperson abgegeben, jedoch durch die o.a. Anweisung an seine Mitarbeiterin die Zustellung von persönlichen Schreiben grundsätzlich vereitelt hatte. Dafür sprach auch der Umstand, dass mein Anspruchsschreiben (mit Hinweis auf die bevorstehende gerichtliche Geltendmachung der Forderung) dem Geschäftsführer (nachweisbar) per Fax übermittelt wurde und er daher mit weiteren – auch behördlichen – Schreiben rechnen musste.
Das AG Northeim beraumte eine Hauptverhandlung an, in der die Zustellungsproblematik nochmals umfangreich erörtert wurde und wies schließlich den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid – erneut – zurück.
Zustellung Vollstreckungsbescheid, Runde Drei
Der Beklagte legte wieder Berufung ein.
Das LG Göttingen wies nunmehr in dem u.a. Hinweisbeschluss darauf hin, dass es beabsichtigt, die Berufung zurück zu weisen.
Hinweisbeschluss LG Göttingen, Az. 1 S 9-15
Nach einem weiteren Schriftsatz der Gegenseite (mit einer erneut sehr kreativen Argumentation) wurde die Berufung schließlich durch Beschluss zurück gewiesen.
Beschluss LG Göttingen, Az. 1 S 9-15
PS:
Unabhängig von dem positiven Verfahrensausgang gab es auch ein Happy End :-): Die geplante Feier meiner Mandantschaft betraf ihre Hochzeit. Und die musste (zunächst) aus wichtigen Gründen abgesagt werden, die jedoch nicht auf einer Trennung beruhten – das Paar ist nunmehr seit Jahren glücklich verheiratet und der doppelte Familienzuwachs hatte schon Geburtstag :-).
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