Tel: 081916474513 oder E-Mail senden

Aussage im Ermittlungsverfahren?

Veröffentlicht am

Aktualisiert: 28.01.2024

zwei Arme mit offenen Handschellen hoch gestreckt vor blauem Himmel

Sollte ein Beschuldigter im Ermittlungsverfahren aussagen?

Die Antwort ist in den meisten Fällen: Nein! Keine Aussage im Ermittlungsverfahren!

Denn Sie wissen nicht, welche Beweise gegen Sie vorliegen. Und selbst wenn diese (vermeintlich) offensichtlich sind, können polizeiliche Vernehmungen ein Eigenleben entwickeln. Und es kann ein Eindruck entstehen, der im Nachhinein nur schwer zu widerlegen ist.

Bis zum Gerichtsverfahren hat nur der Polizeibeamte, der die Vernehmung leitet, direkten Kontakt zum Beschuldigten – falls kein Rechtsanwalt als Verteidiger beauftragt wurde.

Und hier gibt es oft die ersten Diskrepanzen. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht treffen ihre Entscheidungen zunächst nur nach Aktenlage. Denn sie lernen den Beschuldigten erst in der Hauptverhandlung kennen.

Sie entscheiden zunächst auf der Grundlage dessen, was in der Akte enthalten ist und was der Sachbearbeiter in der Akte vermerkt hat. Und zu diesen Vermerken gehören evtl. auch Eindrücke, die der Polizeibeamte in der Akte hinterlassen wollte.

Aber auch der vernehmende Polizeibeamte hat evtl. noch nicht alle relevanten Informationen. Und möglicherweise ist sein Ersteindruck daher falsch.

Aussage im Ermittlungsverfahren: Drogenhandel Jugendlicher

Die Eltern meines jugendlichen Mandanten hatten merkwürdige Abhebungen auf seinem Konto entdeckt. Daher wollten sie diese mit ihrem Sohn besprechen. Und er war froh endlich das auszusprechen, was ihn seit Monaten belastete.

Ein (vermeintlicher) „Freund“ hatte ihm erzählt, dass man mit Drogenhandel gut Geld verdienen kann. Er wollte ihm die Drogen liefern und auch Käufer vermitteln.

Mein Mandant kaufte für ca. 6.000 € (vermeintliches) Koks von dem (vermeintlichen) „Freund“. Mit den angeblichen Käufern gab es aber Schwierigkeiten. Denn diese brachen den Kontakt sehr schnell ab – es waren wahrscheinlich Accounts des (vermeintlichen) „Freundes“.

Aber nun saß mein Mandant in der Falle. Sein angeblicher „Freund“ erpresste und bedrohte ihn. Er drohte damit, der Familie meines Mandanten körperlich zu schaden. Und diese Drohungen waren glaubhaft. Weitere ca. 4.000 € wechselten den Besitzer.

Mein Mandant war froh, seinen Eltern endlich die Wahrheit sagen zu können. Und seine Eltern erkannten die Gefahr. Denn sie wussten nicht, wie weit der (angebliche) „Freund“ gehen würde. Sie entschieden sich gemeinsam mit meinem Mandanten zur Selbstanzeige bei der Polizei.

Die polizeiliche Vernehmung

Vater und Sohn gingen zur Polizei und legten einen Beutel mit diversen Pulvern auf den Tisch. Beide gingen davon aus, dass es sich dabei überwiegend um “Koks” und in einem geringen Umfang um Haschisch handelte.

Um es kurz zu machen: Der vernehmende Polizeibeamte erkannte Widersprüche, die überwiegend aus der Menge der vermeintlichen Drogen und den gezahlten 10.000 € resultierten.

Die Menge stimmte nicht mit dem üblichen Straßenpreis überein. Allerdings hatte mein Mandant dem Polizeibeamten alle erforderlichen Informationen gegeben: Der meinem Mandanten von seinem Verkäufer genannte Preis war mehr als doppelt so hoch, wie der übliche Straßenpreis. Und außerdem wurde er von dem Verkäufer erpresst und bedroht.

Was befand sich in der polizeilichen Ermittlungsakte?

Der Sachbearbeiter hatte mehrere Hinweise dokumentiert:

  • Er war nicht erfreut, dass die (vermeintlichen) Widersprüche in der Beschuldigtenvernehmung nicht geklärt werden konnten. Denn der nunmehr anwaltlich vertretene Beschuldigte hatte eine weitere Aussage verweigert.
  • Der vernehmende Polizeibeamte hatte den Eindruck, dass der Jugendliche nur auf Drängen seines Vaters bei der Polizei erschienen war und keinerlei Einsicht zeigte.

Was fehlte in der Akte?

  • Irgendein Hinweis, dass den ermittelnden Polizeibeamten § 160 StPO bekannt war. Denn § 160 StPO bezieht sich zwar darauf, dass “die Staatsanwaltschaft (…) nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln” hat. Aber das gilt eben auch für die Ermittlungsbehörde, die diesen Auftrag zu erfüllen hat.
  • Jegliches psychologisches Einfühlungsvermögen des Polizeibeamten für einen jugendlichen Täter, der sein Handeln zu tiefst bereut, dem es aber auch ausgesprochen peinlich war, sich selbst in diese Situation gebracht zu haben.

An dieser Stelle nehme ich auf die gerichtliche Hauptverhandlung Bezug: Der vernehmende Polizeibeamte hatte keine Erfahrung mit Drogendelikten. Denn er musste sich – so seine Aussage als Zeuge in der Hauptverhandlung – erst bei Kollegen über Menge und Preis der Drogen und die strafrechtliche Auswirkungen informieren.

Und das erklärt, warum er in der polizeilichen Vernehmung so auf den vermeintlichen Widersprüchen (Preis und Menge der Betäubungsmittel) herum geritten ist.

Zudem möchte ich bezweifeln, dass er irgendwelche Kenntnisse zu speziellen Besonderheiten der Vernehmung eines Jugendlichen hatte.

Was war das Ergebnis?

Mein Mandant hatte sich mit seinem Vater gestellt und wahrheitsgemäß ausgesagt. Aber die Ermittlungsakte enthielt Zweifel zu seinen Motiven.

Was war die Lösung?

Die der Polizei übergebenen “Betäubungsmittel” wurden von einem Gutachter untersucht. Bei einem sehr geringen Anteil handelte es sich um Haschisch. Bei dem weit überwiegenden Anteil handelte es sich um Backpulver und andere Pulver, die als Nahrungsergänzungsmittel einzuordnen sind.

Mein Mandant wurde durch seinen vermeintlichen „Freund“ in jeder Hinsicht über den Tisch gezogen: Er hatte für 200,00 € /pro Gramm Backpulver und andere Nahrungsergänzungsmittel gekauft, in der Annahme, es handele sich um Koks.

Er hatte nicht einmal den Straßenpreis gegoogelt, denn der betrug nur etwas mehr als ein Drittel, des Preises, den sein (vermeintlicher) “Freund” verlangt hatte.

Die Fiktion

Hätte das gutachterliche Ergebnis schon zum Zeitpunkt der Beschuldigtenvernehmung vorgelegen, wäre klar gewesen, dass mein Mandant in jedem Punkt die Wahrheit gesagt hat. Er war einfach völlig naiv in eine Falle seines (vermeintlichen) “Freundes” getappt.

Mit diesem Wissen wäre evtl. auch die polizeiliche Erstvernehmung anders verlaufen. Allerdings liegen zum Zeitpunkt einer ersten Vernehmung normalerweise noch keine gutachterlichen Ergebnisse vor.

Meine Bedenken zur Aussage im Ermittlungsverfahren

Warum gibt es § 160 StPO wenn – selbst in einem Fall, wie hier – Aktenvermerke in der Ermittlungsakte enthalten sind, die die positiven Absichten eines Beschuldigten in Zweifel ziehen?

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Polizeibeamten regelmäßig Schulungen zur Unschuldsvermutung – und anderen relevanten Aspekten bei einer Beschuldigtenvernehmung – erhalten.

Das gerichtliche Verfahren

Aufgrund der Menge der vermeintlichen Betäubungsmittel hatte die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Jugendschöffengericht erhoben. Denn es handelte sich um ein Verbrechen. Und eine Jugendfreiheitsstrafe stand im Raum.

Dass die vermeintlichen Betäubungsmittel keine waren, ist für die rechtliche Bewertung des Handels mit Betäubungsmitteln unerheblich. Der Tatbestand ist auch in diesem Fall erfüllt.

Das Jugendschöffengericht hat jedoch nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden Umstände gewürdigt. Schädliche Neigungen, die Voraussetzung für eine Jugendfreiheitsstrafe wären, lagen nicht vor.

Mein Mandant erhielt verschieden Weisungen, die u.a. gemeinnützige Arbeit betrafen.

Fazit:

Sie fragen sich immer noch, ob Sie als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren aussagen wollen? Es verbleibt bei der o.a. Antwort: Nein!

Eine Stellungnahme kann ggf. später nach der Akteineinsicht gegenüber der Staatsanwaltschaft erfolgen.

Und die Ausnahmen, die eine frühzeitige Aussage im Ermittlungsverfahren rechtfertigen, können Sie nicht allein beurteilen. Denn für diese Einschätzung benötigen Sie die Beratung eines erfahrenen Strafverteidigers.

Sie haben weitere Fragen?

Wir stehen Ihnen gern zur Verfügung. Selbstverständlich gilt für Ihre Anfrage die anwaltliche Schweigepflicht und Ihre Daten werden vertraulich behandelt.

 

Wir übernehmen Ihre Strafverteidigung in Landsberg am Lech und Umgebung, sind aber auch bundesweit für Sie tätig.

Das könnte auch interessant sein...