Auch ohne aktive Teilnahme am Straßenverkehr führt der Besitz oder Konsum von Cannabis evtl. zum Führerscheinentzug
Sie haben einen Joint geraucht und wurden dabei erwischt? Die Führerscheinstelle fordert ein Gutachten, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt nicht einmal in der Nähe Ihres Autos waren oder nicht selbst am Steuer gesessen haben?
Cannabiskonsum und Führerschein – Rechtsprechung
Da in meiner Beratungspraxis immer wieder Fragen zur Problematik eines möglichen Führerscheinentzugs bei (gelegentlichem) Cannabiskonsum auftauchen, möchte ich an dieser Stelle einen groben Überblick über die Rechtsprechung auf diesem Gebiet geben.
Bitte beachten Sie auch die Hinweise unter Praxis-Probleme.
Inhaltsverzeichnis:
Einmaliger / gelegentlicher Cannabiskonsum ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit Urteil vom 05.07.01 (3 C 13/01) entschieden, dass bei einem einmaligen oder gelegentlichen Cannabiskonsum ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr kein ausreichenden Anlass zur Anforderung eines Drogenscreenings (§ 15 b Abs. 2 StVZO) besteht. Wenn der Betroffene es ablehnt, sich einem solchen Screening zu unterziehen, ist das kein berechtigter Anlass zur Annahme einer fehlenden Fahreignung.
Im Beschluss vom 20.06.2002) stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter anderem fest:
„Nach aktuellem Erkenntnisstand ist es bei einmaligem oder gelegentlichem Haschischkonsum auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Betroffene außer Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder trotz einer solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abzusehen.
BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 (1 BvR 2062/96)
Auch mit dieser Entscheidung wurde darauf hingewiesen, dass der Besitz einer geringen Menge Cannabis eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht rechtfertigt.
Die o.a. Entscheidungen bezogen sich auf Sachverhalte, bei denen entweder allein der Besitz einer geringe Menge (ohne nachgewiesenen Konsum) oder auch der gelegentliche Konsum (ohne Nachweis einer aktiven Teilnahme am Straßenverkehr) von Haschisch festgestellt wurde.
Cannabiskonsum und aktive Teilnahme am Straßenverkehr
Anders lag der Fall bei einem Autofahrer, der abends einen Joint geraucht hatte und 16 Stunden später Auto gefahren ist.
Das BVerfG vom 21.12.2004 (1 BvR 2652/03) entschied zu seinen Gunsten: Eine „Null-Promille-Regelung“ beim Cannabiswirkstoff THC ist nicht verhältnismäßig und daher auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Kammer stellte fest, dass
„nicht mehr jeder Nachweis von THC im Blut eines Verkehrsteilnehmers für eine Verurteilung nach § 24 a Abs. 2 StVG ausreichen (kann). Festgestellt werden muss vielmehr eine Konzentration, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Das wird in der Wissenschaft zum Teil erst bei Konzentrationen von über 1 ng/ml angenommen“.
Mittlerweile wird in der Rechtsprechung die o.a. Grenze von 1 ng/ml auch überwiegend berücksichtigt.
Mischkonsum (Cannabis und Alkohol)
Der u.a. – ebenfalls obergerichtlich entschiedene – Fall wurde im Netz heftig diskutiert. Die gerichtliche Entscheidung wurde kritisiert, da sie auf Vermutungen beruhe. Auch in diesem Fall wurde Cannabis aufgefunden, ohne dass eine Teilnahme am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss jemals festgestellt wurde:
Anlässlich einer Durchsuchung wurden bei dem Betroffenen verschiedene Betäubungsmittelutensilien und Haschisch aufgefunden. Darüber hinaus wurde er wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Ergebnis einer MPU-Begutachtung wurde festgestellt, dass der Kläger gelegentlich Cannabis konsumiert hat. Aus dem Gutachten ergab sich auch, dass keine Abhängigkeit bestand aber Hinweise auf Mischkonsum mit Alkohol vorlagen. Der Kläger wurde aufgefordert, ein weiteres Gutachtens vorzulegen. Mit diesem sollte festgestellt werden, ob zu einem späteren Zeitpunkt eine mangelnde Fahreignung vorlag. Da er die Vorlage eines weiteren Gutachtens verweigerte, entzog ihm das Landratsamt die Fahrerlaubnis.
Der VGH München hatte am 24.10.2012 (11 B 12.1523) zu Gunsten des Klägers entschieden. Aber das Bundesverwaltungsgericht teilte die Auffassung der Vorinstanz nicht und entschied mit Urteil vom 14.11.13 (BVerwG 3 C 32.12), dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig war. Der Senat führte in seiner Begründung u.a. aus:
„Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet nicht, nur dann die Fahreignung eines Mischkonsumenten zu verneinen, wenn mit Sicherheit zu erwarten ist, dass der Betroffene früher oder später unter Einwirkung von Rauschmitteln ein Fahrzeug führen, also die Trennungsbereitschaft aufgeben wird. Schon der Umstand, dass ein solcher Mischkonsum die Aufgabe der Trennungsbereitschaft möglich erscheinen lässt, mag die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Kontrollverlustes auch nicht (…) bezifferbar sein, rechtfertigt vor dem Hintergrund der staatlichen Pflicht, die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, grundsätzlich die Annahme mangelnder Fahreignung“.
Erstkonsum von Cannabis und aktive Teilnahme am Straßenverkehr
In diesem Fall wurden bei einem Autofahrer im Rahmen einer Verkehrskontrolle deutliche Anzeichen eines vorangegangenen Drogenkonsums festgestellt. Da der Fahrer mit einem freiwilligen Drogen-Urintest nicht einverstanden war, wurde eine Blutentnahme durchgeführt. Diese ergab einen THC-Wert von 2,8 ng/ml und einen THC-COOH-Wert von 11,0 ng/ml. Damit lag der THC-Wert deutlich über der o.a. und von der Rechtsprechung teilweise berücksichtigten Grenze. Dem Antragsteller wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Gegen diese Entscheidung erhob er Widerspruch. Er begründete diesen damit, dass er vor der Verkehrskontrolle erstmals Cannabis konsumiert habe. Daher habe es sich um ein Probierverhalten und nicht um gelegentlichen Konsum gehandelt.
Das Hamburgische OVG (Beschluss vom 16. Mai 2014, Az. 4 Bs 26/14) gab dem Antragsteller recht. Es hob den Beschluss des Verwaltungsgerichts auf und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her. Das Gericht stellte fest:
„Der beschließende Senat geht abweichend von der Rechtsprechung des ehedem für das Verkehrsrecht zuständig gewesenen dritten Senats des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (…) davon aus, dass ein einmaliger Cannabiskonsum nicht mit einem gelegentlichen Cannabiskonsum (…) gleichgesetzt werden kann. Vielmehr setzt der Begriff der gelegentlichen Einnahme i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV einen mehrmaligen, d.h. mindestens zweimaligen Cannabiskonsum voraus (…).
Praxis-Probleme bei festgestelltem Cannabis-Konsum oder -Besitz
Allen oben angegebenen Sachverhalten liegen Entscheidungen höherer Instanzen zugrunde. Das setzt jedoch voraus, dass ein Fahrzeugführer, dem der Führerschein entzogen wurde, bereit ist, über mehrere Instanzen ein sehr kostenintensives Verfahren zu führen. Erfahrungsgemäß ist das aber selten der Fall.
In den o.a. Fällen lag dem Entzug der Fahrerlaubnis teilweise die Weigerung der Betroffenen zugrunde, sich einem Drogen-Screening oder einer MPU zu unterziehen. Und hier liegt das Problem:
Gegen die Aufforderung, ein MPU-Gutachten beizubringen, gibt es kein Rechtsmittel!
In der Rechtsprechung wird dies damit begründet, dass die Aufforderung der Fahrerlaubnisbehörde, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, kein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt sei.
Erst eine Ablehnung der Erteilung der Fahrerlaubnis bzw. die Entziehung der Fahrerlaubnis stellen Verwaltungsakte dar, die durch gerichtliche Maßnahmen angreifbar sind.
Die Praxis zeigt, dass Aufforderungen, ein MPU-Gutachten beizubringen, durch die Fahrerlaubnisbehörden bei jedem Anlass erfolgen, der vermuten lässt, der Betroffene sei zur Teilnahme am Straßenverkehr nicht geeignet. Auf ein besonders krasses Beispiel habe ich in in einem Blog-Beitrag (Niemals gekifft – trotzdem MPU!) hingewiesen. Sie haben also zwei Möglichkeiten:
- der Aufforderung zu folgen und sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung oder einem Drogenscreening zu unterziehen, was mit Zeit, Nerven und Kosten verbunden ist oder
- Sie folgen der Aufforderung nicht, riskieren einen (sehr wahrscheinlichen) Entzug der Fahrerlaubnis, gegen den Sie dann gerichtlich vorgehen können, was ebenfalls mit Zeit, Nerven und möglicherweise hohen Kosten verbunden ist.
Die o.a. Situation ist nicht nur wenig zufriedenstellend, sondern meines Erachtens auch in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Eine Änderung ist nicht in Sicht – alle Versuche der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV, mit denen erreicht werden sollte, dass Betroffene die Möglichkeit erhalten, eine MPU-Aufforderung auf Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, sind bisher gescheitert.
Wir sind im Verkehrsrecht und bei Verkehrsordnungswidrigkeiten in Landsberg am Lech und Umgebung, aber auch bundesweit für Sie tätig.