Bei der Einschätzung des Mitverschuldens eines Radfahrers, der ohne Helm fährt und durch einen Verkehrsunfall geschädigt wird, kommt es auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an:
Mitverschulden Radfahrer? Das LG München II verneint ein Mitverschulden.
Nach Auffassung des OLG München (und anderer Gerichte) besteht aber bei einem Radfahrer, der mit einem Rennrad ohne Fahrradhelm fährt, die Vermutung einer sportlichen Fahrweise. Diese löst eine Mitverschuldensquote aus.
Mitverschulden Radfahrer? Gerichte sehen das differenziert
LG München II – 5 O 1837/09
Zum Sachverhalt: Bei der Suche nach einem Parkplatz hatte der Beklagte die radfahrende Klägerin übersehen und war mit dieser zusammen gestoßen. Infolge des Aufpralls flog die Klägerin in Fahrtrichtung über ihr Fahrrad. Sie stürzte auf die Motorhaube und Windschutzscheibe des unfallverursachenden PKW. Dadurch zersplitterte die Windschutzscheibe.
Die Klägerin trug keinen Fahrradhelm. Sie erlitt neben einer Gehirnerschütterung, Schürf- und Platzwunden im Gesicht, Prellungen an der linken Gesichtshälfte, eine Jochbeinfraktur links sowie Prellungen und Schürf- bzw. Platzwunden an den Beinen. Sie befand sich eine Woche in stationärer Behandlung und zwei weitere Monate in intensiver ambulanter Behandlung. Anschließend nahm sie an einer ärztlich verordneten mehrmonatigen Krankengymnastik teil. Sie musste sich auch einer zahnärztlichen Heilbehandlung unterziehen.
Außergerichtlich hatte der Beklagte der Klägerin bereits Schmerzensgeld in Höhe von € 2.000 und weitere € 1.100 auf den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden gezahlt.
Mit ihrer Klage hatte die geschädigte Radfahrerin u.a. ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von € 7.000 geltend gemacht. Sie hatte durch den Unfall erhebliche Verletzungen erlitten. Es sei damit zu rechnen, dass sie dauerhaft unter einigen Verletzungsfolgen leiden werde.
Der Beklagte trug u.a vor, dass die Klägerin zum Unfallzeitpunkt keinen Fahrradhelm getragen habe und daher ein Mitverschulden zu berücksichtigen sei.
Kein Mitverschulden des Radfahrers bei Fahrt ohne Helm
Das Gericht entschied, dass ein Mitverschulden der geschädigten Fahrradfahrerin nicht festzustellen ist. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Fahren ohne Helm. Denn eine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer existiert nicht. Im Urteil wird weiterhin darauf verwiesen, dass eine Verpflichtung, zum Zweck der Schadensminderung einen Fahrradhelm zu tragen, allenfalls für sportlich ambitionierte Radfahrer in Betracht kommt. Für Verkehrsteilnehmer, die das Fahrrad nur als Fortbewegungsmittel im Alltag nutzen, gibt es eine derartige Pflicht nicht.
Neben weiteren strittigen Kosten für medizinische Heilbehandlungen wurde der Klägerin insgesamt ein Schmerzensgeld in Höhe von € 6.500 als angemessen zuerkannt. Ein Betrag in Höhe von € 2.000 wurde davon bereits außergerichtlich ausgeglichen. .
Mitverschulden – OLG München, 24 U 384/10
Auf dem Weg zur Arbeit hatte ein Radfahrer nach einem Zusammenstoßes mit einem VW-Bus erhebliche Verletzungen erlitten. Er war ohne Helm gefahren und mit seinem Rennrad von einem Radweg mit hoher Geschwindigkeit nach links auf die vom Beklagten befahrene Straße eingebogen. Dort kam es zur Kollision. Die Verletzungen des Radfahrers betrafen u.a. auch den Kopf.
Das LG Memmingen hatte in I. Instanz der Klage zu zwei Dritteln stattgegeben. Der beklagte Autofahrer bzw. seine Versicherung wurden u.a. zu einem erheblichen Schmerzensgeld und weiterem Schadensersatz verurteilt.
Das OLG München hat in II. Instanz die Haftungsquote des Klägers von 1/3 auf 40% erhöht.
Dabei stellte das Gericht zunächst fest, dass der VW-Bus-Fahrer die Vorfahrtsberechtigung des Radfahrers verletzt hat. Allerdings wurde ein Mitverschulden des Radfahrers – wie auch bereits in der Vorinstanz – bejaht, da nicht sofort offensichtlich war, ob es sich bei dem von ihm befahrenen Weg um einen Feldweg oder eine bevorrechtigte Straße handelte, und er eine strengere Sorgfalt hätte beachten müssen.
Darüber hinaus vertrat der Senat die Auffassung, dass bei einem Radfahrer, der ein Rennrad mit Klickpedalen im freien Gelände benutzt, bereits ein Anscheinsbeweis für eine „sportliche Fahrweise“ gegeben sei. Dadurch werde eine Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelms begründet. Nach dem Beweis des ersten Anscheins sei auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Nichtbenutzen des Helms und den eingetretenen Kopfverletzungen festzustellen. Infolge dessen wurde der Mitverschuldensanteil des Radfahrers und damit seine Haftungsquote auf 40 % erhöht.
„Rennradfahrer“
Wie das OLG München, nehmen auch andere Gerichte eine Differenzierung zwischen dem Alltags-Radfahrer und einem sportlich ambitionierten Radfahrer vor. Sie kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass letztere zu einer besonders gefährdeten Gruppe von Radfahrern gehören und daher einen Helm tragen müssen (OLG Düsseldorf – I-1 U 278/06, OLG Saarbrücken – 4 U 80/07, OLG Celle – 14 U 113/13).
BGH – kein Mitverschulden
Der BGH (VI ZR 281/13) geht ebenfalls davon aus, dass das Nichttragen eines Fahrradhelms nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens führt. Er begründet das damit, dass es keine gesetzliche Helmpflicht für Fahrradfahrer gibt und dass es zum Zeitpunkt des Unfalls auch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein für das Tragen eines Helms gegeben habe.
Damit ist diese Entscheidung zeitlich begrenzt. Denn im Umkehrschluss ergibt sich aus dem Urteil: Sollte sich das allgemeine Verkehrsbewusstsein ändern, könnte eine Mitschuld gegeben sein.
Zur Problematik der sportlich ambitionierten Radfahrer hat der BGH nicht Stellung genommen.
Kein Mitverschulden: OLG Nürnberg – 13 U 1187/20
Das OLG Nürnberg kommt mit Urteil v. 28.08.2020, 13 U 1187/20, ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Tragen eines Helms nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht. Es sieht daher kein Mitverschulden bei dem Radfahrer ohne Helm.
Das OLG wies aber auch darauf hin, dass die Beurteilung bei Formen des sportlichen Radfahrens, anders ausfallen könne.
Sie hatten einen Verkehrsunfall und benötigen einen Anwalt für Verkehrsrecht? Wir helfen Ihnen!