Mein längstes Gerichtsverfahren ist nunmehr beendet. Dabei war ich „nur“ 6 Jahre tätig. Denn insgesamt dauerte das Gerichtsverfahren 12 Jahre. Das Verfahren war nicht nur langwierig, sondern auch sehr kompliziert. Es ging um eine Stufenklage zum Provisionsanspruch des Handelsvertreters (§§ 87 ff. HGB).
Schon in der ersten Stufe wurde das Verfahren über 2 x 2 Instanzen geführt. Ausgangspunkt war die fristlose Kündigung eines Handelsvertretervertrages. Und die Gegenseite hatte meinem Mandanten sämtliche Ausgleichs- und Provisionsansprüche verweigert.
Der Ausgangspunkt
Es gab einen Handelsvertretervertrag zwischen meinem Mandanten und einem deutschen Unternehmen (eigentlich gab es mehrere Handelsvertreterverträge. Und der erste Vertrag hatte Mängel, die durch die nachfolgenden Verträge behoben wurden).
Dieser sah u.a. vor, dass mein Mandant in einem bestimmten Territorium den Status eines Alleinvertreters hatte. D.h. er konnte in diesem Staat die exklusiven Rechte eines Handelsvertreters für sich beanspruchen.
Er hatte dem deutschen Unternehmen u.a. die Beteiligung an langjährigen Großprojekten in diesem Land vermittelt. Solange es nur um die zunächst vermittelten kleinen Projekte ging, hatte sein Vertragspartner Provisionen gezahlt.
Aber als für die vermittelten Großprojekte (Schritt für Schritt) die Beteiligung des deutschen Unternehmens vertraglich geregelt wurde, kündigte dieses den Handelsvertretervertrag mit meinem Mandanten unter einem Vorwand.
Der Vertragspartner meines Mandanten weigerte sich nunmehr, eine ordnungsgemäße Provisionsabrechnung vorzunehmen und einen Buchauszug und Auskunft zu erteilen.
Außergerichtliche Versuche, die Gegenseite zu einer Auskunft zu bewegen, blieben erfolglos. Sie verweigerte auch Zahlungen auf den unbestrittenen Provisionsanspruch des Handelsvertreters.
Das Gerichtsverfahren
Dem Verfahren lag eine Stufenklage zugrunde.
Die erste Stufe – Auskunft
Der erste Prozessbevollmächtigte machte den Auskunftsanspruch bzw. den Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs gerichtlich geltend.
Schon dieser Teil des Verfahrens war sehr komplex. Die Gegenseite erklärte u.a., dass mein Mandant angeblich einen Wettbewerbsverstoß begangen habe, der zur Nichterteilung der Auskunft berechtige.
Zudem hielt sie eine erfolgte Abtretung des Provisionsanspruchs meines Mandanten an seine Firma für nicht gerechtfertigt. Außerdem wurde schon in dieser Stufe über eine Vielzahl von (teils unwichtigen) Details gestritten.
Dass die Rechtslage kompliziert war, zeigt sich auch daran, dass das Verfahren schon in dieser Stufe nach einem erstinstanzlichen Urteil in der zweiten Instanz vom OLG an das Landgericht zurückverwiesen wurde.
Nach einem weiteren erstinstanzlichen Urteil legte die Gegenseite erneut Berufung ein. Das OLG teilte mit, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Die Gegenseite nahm die Berufung zurück.
Das erstinstanzliche Urteil, das die Gegenseite zur Auskunft verpflichtete, wurde rechtskräftig. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das gerichtliche Verfahren bereits 5 Jahre gedauert.
Die Gegenseite erteilte “Auskunft” zu Vorgängen, die 6-8 Jahre zurück lagen.
Die zweite Stufe – Eidesstattliche Versicherung
Die Auskunft der Gegenseite war nachweisbar unvollständig und fehlerhaft. Aus verschiedenen Gründen beantragte der damalige Prozessbevollmächtigte meiner Mandantschaft daher, dass der Geschäftsführer der Gegenseite an Eides statt versichert, dass die Auskunft vollständig und richtig erfolgt sei.
Das war aus zwei Gründen wichtig:
- die Auskunft bot so eine Grundlage für die Leistungsklage,
- da die Auskunft nachweisbar unvollständig und fehlerhaft war, ergab sich eine evtl. strafrechtliche Relevanz einer eidesstattllichen Versicherung.
Auch zu diesem Punkt gab es Streit. Ich übernahm das Verfahren in diesem Stadium. Nach einem weiteren Schriftsatz unsererseits und einem gerichtlichen Hinweis gab der damalige Geschäftsführer der Gegenseite die eidesstattliche Versicherung ab.
Übernahme eines komplexen Umfangsverfahrens – Vorteile
Die gerichtlichen Verfahrensakten hatten schon zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von mehreren tausend Seiten. Dazu kam eine umfangreiche (aber dennoch fehlerhafte und unvollständige) Auskunft, die ebenfalls mehrere hundert Seiten umfasste.
Wenn man ein derartiges Verfahren übernimmt, muss man sich einen Überblick verschaffen. Und man gewinnt einen Eindruck von den bisherigen Schriftsätzen (und Anlagen) – jeder Widerspruch wird sofort offensichtlich.
Mein Eindruck war: Die Gegenseite hatte es ganz offensichtlich mit der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) nicht so genau genommen. Das führte dazu, dass ich vorgewarnt war.
Ich erinnerte mich später an Schriftsätze und Argumente der Gegenseite. Und diese Erinnerung half im weiteren Verfahrensverlauf. Denn oft stand die spätere Argumentation der Gegenseite im Widerspruch zu ihren älteren Schriftsätzen.
Aber es gab auch einen Nachteil: Ich erinnerte mich an ältere Aussagen der Gegenseite, aber ich wusste nicht mehr, in welchen Schriftsätzen, diese erfolgten.
Das führte zu einem weiteren Vorteil: Bei der Suche nach den entsprechenden Textpassagen hatte ich die Schriftsätze der Gegenseite so oft gelesen, dass mir später auch (zunächst) unwichtig erscheinende Passagen in Erinnerung blieben, die im weiteren Verfahrensverlauf dann wichtig wurden.
Provisionsanspruch des Handelsvertreters: Leistungsklage
Ich war zunächst (vorsichtig) optimistisch. Wir legten dem Provisionsanspruch des Handelsvertreters bei der Leistungsklage (nur) die Auskunft zugrunde.
Die Auskunft beinhaltete u.a. diverse Zahlungseingänge bei der Gegenseite. Und diese resultierten aus verschiedenen Akkreditiven und diversen anderen Zahlungseingängen aufgrund von Überweisungen.
Daher staunte ich nicht schlecht, als die Gegenseite in der ersten mündlichen Verhandlung (nach der Leistungsklage) behauptete, es seien keine Zahlungen außerhalb der Akkreditive erfolgt.
Allerdings handelte es sich dabei insgesamt um Beträge im siebenstelligen Bereich. Und diese waren auch auf die entsprechenden Verträge innerhalb der Großprojekte verbucht worden.
Mein (vorsichtiger) Optimismus löste sich sehr schnell in Luft auf. Ich ahnte, wie sich dieses Verfahren weiter entwickeln würde. Und meine Vorahnungen bewahrheiteten sich – wir stritten im weiteren Verfahrensverlauf sogar um einzelne Wörter und deren Bedeutung.
Beweislast
Die Beweislast für Behauptungen der Parteien eines Gerichtsverfahrens ist verteilt – jede Partei ist für ihre Behauptungen beweisbelastet. Das bedeutete für uns zunächst, dass wir die provisionspflichtigen Zahlungseingänge bei der Gegenseite nachweisen mussten. Diese Beweise lagen vor.
Trotzdem hatte die Gegenseite die Zahlungseingänge zunächst überwiegend bestritten – und dafür Zeugenbeweis angeboten.
Es war nicht überraschend, dass das Gericht, dem schon Beweise für Zahlungseingänge vorlagen, nicht mit der Einvernahme von Zeugen einverstanden war. Es verlangte Belege für die Behauptungen der Gegenseite.
Und – Überraschung! Die Gegenseite hatte keine gegenteiligen Beweise. Denn – ganz im Gegenteil zu ihren vorherigen Behauptungen – ihre Beweise zu Zahlungseingängen entsprachen unseren Beweisen.
Aber die Gegenseite hatte weitere Einwendungen vorgebracht. Denn sie war der Auffassung, es habe Absprachen gegeben, die der Provisionspflicht des gesamten Vertragsvolumens widersprachen. Und auch zum Provisionssatz gab es Einwendungen.
Prozessuale Wahrheitspflicht
Es gibt ein Sprichwort: “Lügen haben kurze Beine”. Zwar bedeutet “kurz” hier nicht unbedingt “kurz” im Sinn von zeitnah. Aber das Ergebnis war das gleiche: Die Gegenseite hatte u.a. versucht, das Verfahren durch viele Details zu verkomplizieren (und weiter zu verschleppen).
Allerdings konnten wir auf diese Details wahrheitsgemäß reagieren. Dennoch gab die Gegenseite ihre Bemühungen nicht auf und argumentierte mit weiteren (angeblichen) Details.
Und das Ergebnis war: Irgendwann hatte sie in diesem sehr langwierigen und umfangreichen Verfahren den Überblick über ihre (falschen) Behauptungen und (falschen) Beweisangebote verloren und sich in etliche Widersprüche verstrickt.
Und die Gegenseite hatte unterschätzt, wie ein Strafrechtler arbeitet.
Strafverteidigerin in einem Handelsvertreterverfahren
Diese Konstellation ist nicht unbedingt üblich. Einige Verteidiger sind nur im Strafrecht tätig. Ich achte eine derartige Entscheidung, habe aber für mich eine andere Entscheidung getroffen.
Die Tätigkeit eines Strafverteidigers ist komplex. Denn sie erfordert die Auseinandersetzung mit ständig neuen Sachverhalten. D.h. ein strafrechtliches Verfahren betrifft beispielsweise Betäubungsmittel, das nächste einen steuerrechtlichen Sachverhalt und ein weiteres einen Sachverhalt mit IT-Bezug.
Daher muss sich ein Verteidiger ständig mit neuen – und teilweise komplexen – Konstellationen auseinander setzen.
Und sein Verfahrensgegner ist kein anderer Anwalt, sondern eine Behörde. Und diese Behörde (die Staatsanwaltschaft) kann auf umfangreiche Strukturen (Polizei) zurückgreifen, die einem Anwalt nicht zur Verfügung stehen. D.h. ein Verteidiger ist es gewohnt, sich mit den Machtorganen des Staates auseinander zu setzen.
Daher ist das Ergebnis (aus meiner Sicht): Ein Strafrechtler ist nicht nur kompetent und flexibel hinsichtlich verschiedener rechtlicher Sachverhalte. Denn er trifft auch auf eine Behörde mit mehr Möglichkeiten – und lernt ständig dazu. Und daher bin ich nicht nur im Strafrecht tätig.
Aus diesem Grund hatte mich auch ein (unwichtiges) Detail in diesem handelsrechtlichen Verfahren sehr belustigt: In einer mündlichen Verhandlung nahm der gegnerische Prozessvertreter Bezug auf meine Website, die (u.a.) einen deutlichen strafrechtlichen Bezug hat. Und er sprach mir jede Kompetenz für ein Handelsvertreterverfahren ab.
Aber er hatte sich geirrt.
Strafverfahren sind oft umfangreich
Denn ein Strafrechtler ist nicht nur in der Lage, sich mit neuen Sachverhalten auseinander zu setzen. Er ist auch umfangreiche Akten gewöhnt und geschult darin, Widersprüche im Akteninhalt zu finden. Und (nicht nur) das war in diesem Verfahren u.a. wichtig: Denn die Gegenseite hatte ihre Argumentation ständig geändert.
Und es war daher erforderlich, das Gericht auf Widersprüche in den gegnerischen Argumenten aufmerksam zu machen. Daher bedurfte die mehrfache Änderung des gegnerischen Vortrags dann auch einer Würdigung durch das Gericht.
Der Kollege mit dem handelsrechtlichen Hintergrund hatte sich in der Kollegin mit dem strafrechtlichen Hintergrund geirrt:
Denn wir haben in erster Instanz weit überwiegend gewonnen.
Die zweite Instanz
Die Gegenseite hatte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt und ihren Prozessbevollmächtigten gewechselt. Ich hatte nunmehr eine Kanzlei mit mehr als 50 Anwälten und Anwältinnen als Gegner.
Das bedeutete u.a.: Schon die Prozessvertretung in diesem Verfahren erfolgte durch zwei Rechtsanwältinnen. Dazu kam: Wir hatten die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil betrieben. Dafür war eine weitere Rechtsanwältin zuständig.
Ich gebe zu: Es hatte mich kurzzeitig beeindruckt, nun mehrere Ansprechpartner (für Teilaspekte des Verfahrens) auf der gegnerischen Seite zu haben. Denn zwar stehen beispielsweise auch den Staatsanwaltschaften erhebliche Ressourcen zur Verfügung (s.o.). Aber dort gibt es (meistens) nur einen Sachbearbeiter für ein Verfahren.
Allerdings wies schon die Berufungsbegründung der Gegenseite mehrere Fehler auf. Und ich kam zu dem Ergebnis: “Letztendlich kochen wir alle nur mit Wasser”.
Um es kurz zu machen: Das OLG hatte in einer vorläufigen Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung angedeutet, dass es das erstinstanzliche Urteil für überwiegend zutreffend hält.
Der ehemalige Geschäftsführer der Gegenseite (ein Familienunternehmen), der für dieses Verfahren und die diesem zugrunde liegenden Vorgänge verantwortlich war und offenbar über erheblichen Einfluss auf die neuen Geschäftsführer (seine Söhne) verfügte, drohte damit, die gegnerische Firma in die Insolvenz zu treiben.
Es war auch wahrscheinlich, dass die Gegenseite bei einem zweitinstanzlichen Urteil zu unseren Gunsten Revision einlegen würde.
Einerseits hätte sie dann genug Zeit, ihre Drohung (Insolvenz) wahr zu machen. Und andererseits war mein Mandant nicht mehr jung. Seine Kinder wollten, dass er die Früchte seiner Arbeit noch selbst genießen kann. Aber ein Verfahren vor dem BGH hätte vermutlich weitere Jahre in Anspruch genommen.
Wir schlossen daher einen Vergleich. Grundlage war der letzte Vergleichsvorschlag des Gerichts der ersten Instanz – erhöht um die weiteren (sehr erheblichen) Zinsen. Die Gegenseite hätte 50.000,– € gespart, wenn sie den damaligen gerichtlichen Vergleichsvorschlag angenommen hätte.
Fazit:
Dieses Verfahren hatte Aspekte von „David gegen Goliath“. Denn mein Mandant stand einem Unternehmen mit mehreren Tochterfirmen in verschiedenen Ländern und erheblichen personellen und finanziellen Ressourcen gegenüber. Und bei den Anwälten war es ähnlich (s.o.).
Aber umfangreichere Ressourcen und finanzielle Möglichkeiten garantieren noch nicht den Erfolg. Denn es kommt darauf an, das vorhandene ( evtl. auch geringere) Potential bestmöglich zu nutzen. Und das war uns gelungen.
Darüber hinaus hat dieses Verfahren gezeigt, dass falscher Sachvortrag und Täuschungen zwar evtl. zu einem kurzfristigen Erfolg führen können, dieser aber nicht von Dauer ist.
Denn „Ehrlich währt am längsten“ ist – abgesehen davon, dass Falschvortrag evtl. als Prozessbetrug strafrechtlich verfolgt werden kann – die bessere (nicht nur) Prozesstaktik.
Und manchmal sollte man auch wissen, wann man aufhören muss. Die Gegenseite hat den „Kampf bis zum bitteren Ende“ bevorzugt, obwohl es im Verfahren mehrere Zeitpunkte gab, an denen ein Einlenken angebracht gewesen wäre. Das hat ihre Zahlungsverpflichtungen insgesamt um ca. 150.000,– € erhöht.
Allerdings ist das nur eine Anmerkung und keine Kritik. Denn ein erheblicher Teil dieser Summe kam (neben weiteren Zahlungen) meiner Mandantschaft zu Gute :-).
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